Samsung Galaxy Watch 4 im Test: Neustart mit Google und Hindernissen
Samsung Galaxy Watch4 im Test
Smartwatches haben schon etliche Jahre auf dem Buckel. Samsung selbst ist seit 2013 auf dem Markt der smarten Uhren zugegen, damals angefangen mit der Samsung Galaxy Gear auf Basis von Android. Die einzige Samsung-Smartwatch mit Android Wear ist die Samsung Gear Live von 2014, seitdem setzte der Konzern konsequent auf die eigene Tizen-Plattform.
Mit der Samsung Galaxy Watch 4 ändert sich dies, denn die vierte Generation der Galaxy-Smartwatch stellt den Wechsel zu Google Wear OS in Version 3.0 dar. Umso spannender ist der Vergleich zu den direkten Vorgänger-Uhren auf Basis von Tizen OS 5: Können die Kritikpunkte ausgemerzt werden? Ist das neue Wear OS besser? Wie zuverlässig funktioniert die Smartwatch? Dies und mehr betrachten wir in unserem Test der Samsung Galaxy Watch 4!
Vielen Dank an FLYmobile für die Teststellung!
Design: Das Eckige trifft auf das Runde
Die Galaxy Watch 4 ist der direkte Nachfolger der Galaxy-Watch-Active-Serie, weswegen sich das Design am Vorgänger orientiert. Allerdings ist das eigentliche Uhrengehäuse eckiger, der Übergang zwischen Rahmen und Display nicht mehr so fließend. Wirkte die Galaxy Watch Active 2 noch wie ein anschmiegsamer rundgeschliffener Stein, ist die Galaxy Watch 4 eher ein Klotz in Kreisform. So wirkt die Smartwatch aus Aluminium kühler und nicht gerade filigran.
Beibehalten hat Samsung die Bedienung mit zwei zusätzlichen Hardware-Tasten auf der rechten Gehäuseseite, wovon die obere zusätzlich für die EKG-Funktion benötigt wird. Beide Tasten haben einen kurzen und knackigen Druckpunkt. Ebenso sind sie gut erfühlbar, ohne dabei störend aus dem Gehäuse hervorzustehen.
Lünette: Berühren statt drehen
Samsung verzichtet auf die drehbare Lünette. Nur bei der Samsung Galaxy Watch 4 Classic gibt es den physischen drehbaren Ring rund um das Ziffernblatt. Stattdessen wird die Funktion der Lünette virtualisiert: Samsung nennt dies „digitale Lünette“ – sie kann über den äußersten Rand des Touchscreens bedient werden. Die Benutzung ist allerdings fummeliger und ungenauer im Vergleich zu einer richtigen Lünette zum Drehen.
Ausgeliefert wird die Samsung Galaxy Watch 4 im Test mit einem Gummiarmband. Wer will, kann dieses gegen ein Armband mit 20mm Breite seiner Wahl austauschen. Allerdings ist der Tragekomfort überraschend gut. Neigte der Tester bei den Gummiarmbändern der Vorgängermodelle noch zu Hautirritationen nach den ersten Tagen, ist dies bei der Galaxy Watch 4 im Test nicht der Fall. Samsung scheint eine andere Mischung zu verwenden, was sehr zu begrüßen ist. Einzig der „Verschluss“ ist gewöhnungsbedürftig: Das überstehende Armband wird unter den gegenüberliegenden Teil geschoben.
Display: Eine wahre Wonne
So gut das Design einer Smartwatch auch sein mag, wenn das Display zu wünschen übrig lässt, bleibt das Produkt links liegen. Hier kann Samsung seine ganze Display-Erfahrung ausspielen, denn das 1,4 Zoll große AMOLED-Display mit 450 mal 450 Pixel Auflösung ist einfach nur ein Traum. Scharf, sehr hell, perfektes Schwarz und ein enorm hoher Blickwinkel. Wenn es was zu kritisieren gibt, dann ist es die je nach Lichteinfall stark spiegelnde Glasoberfläche. Selbst Berührungen setzt die Galaxy Watch 4 flott um.
Gewöhnungsbedürftig ist hingegen die digitale Lünette der Samsung Galaxy Watch 4 im Test. Zum einen ist die Aktivierung manchmal sehr hakelig und zum anderen ist die Scrollgeschwindigkeit durch Menüs viel zu schnell. Wer ohne Touchscreen präzise steuern will, sollte von der digitalen Lünette Abstand nehmen und direkt zur Galaxy Watch 4 Classic mit echter Lünette greifen.
Hardware: Ungeahnte Freiheiten für Wear OS
Mit Samsungs Rückkehr zur Wear-OS-Plattform von Google gehen auch gewisse Annehmlichkeiten für die Wear-OS-Plattform als solche einher. Eine dieser Änderungen ist der verbaute Samsung Exynos W920 Prozessor, ein Dualcore-SoC auf Basis von 5nm-Strukturbreite. Qualcomm bekommt somit erhebliche Konkurrenz, welche stromsparend agiert und der Samsung Galaxy Watch 4 im Test zu einer stets performanten Uhr verhilft. Alles wird zackig ausgeführt, Wartemomente wie zum Teil von Tizen-Uhren gewohnt, gibt es nicht.
Mehr Speicher für … mehr Offline-Musik?
1,5 GB RAM sind verbaut und erstmals in einer smarten Uhr sogar satte 16 GB interner Speicher. Von diesem sind allerdings nur knapp 7,6 GB frei verfügbar, den Rest beansprucht Wear OS 3 für sich. Besagter Speicher ist für Apps vorgesehen und Mediendateien, die offline über Bluetooth wiedergegeben werden können. Für Offline-Karten einer Navi-App ist der Speicher leider nicht zu gebrauchen – es fehlen einfach entsprechende Navi-Apps, die auch ohne Smartphone funktionieren.
Enttäuschende Puste mit einer Akkuladung
Eine Sache ist durchaus zwiespältig zu betrachten, und das ist die Ausdauer der Galaxy Watch 4 im Test. Wear OS 3 wurde als ein deutlicher Sprung in Sachen Energie-Effizienz in Kombination mit entsprechender Hardware angepriesen, aber knapp 1,5 bis 2 Tage, je nach Nutzung, sind nicht gerade berauschend. Hierbei sind zwar Schlaftracking, Benachrichtigungen (Messenger, Mails, etc.) und auch GPS-getrackte Ausflüge per Fahrrad und zwei Telefonate Minimum pro Tag inkludiert. Dennoch waren im Vorfeld die Erwartungen höher.
Zum Vergleich: Bei nahezu identischer Nutzung hält eine Galaxy Watch 3 gut 4 bis fast 4,5 Tage durch und das mit aktivierter eSIM. Der Vergleich ist dahingehend passend, dass es sich bei unserer Test-Uhr um das (größere) 44mm-Modell ohne eSIM der Galaxy Watch 4 handelt und bei der (privaten) Galaxy Watch 3 um das 46mm-Modell inklusive eSIM. So oder so bleibt erstmal ein ernüchterndes Gefühl in Sachen Ausdauer zurück: Dass die Galaxy Watch 4 nur ein Wochenende durchhält. Samsung und Google haben es hier in der Hand, mit Updates deutliche Verbesserungen zu bringen.
Software: Neue Wege mit Altbekanntem
Ausgeliefert wird die Galaxy Watch 4 als erste Smartwatch überhaupt mit dem neuen Wear OS 3 von Google. Bis mindestens zur zweiten Jahreshälfte ist die neue Plattform nur bei Samsung zu haben, da Google das Update auf Wear OS 3 für bereits existierende Wear-OS-Uhren frühestens in der zweiten Jahreshälfte von 2022 freigeben will. Das erweckt den Eindruck, dass Besitzer der Galaxy Watch 4 Series eine Art Testballon für die Neuerungen sind, bzw. Wear OS 3 erst noch reifen muss und nicht alle geplanten/angekündigten Neuerungen bereits beinhaltet.
Eigenständigkeit der Software-Oberfläche
Nichtsdestotrotz stellt Wear OS 3 dahingehend eine Zäsur dar, das Smartwatch-Hersteller ihre eigenen Oberflächen implementieren können. Im Fall der Galaxy Watch 4 ist dies „One UI Watch“ , und im Prinzip die äußerliche Erscheinung der bisherigen Tizen-Plattform, nur jetzt mit Android als Unterbau. Und das bedeutet: Apps kommen aus dem Google Play Store anstelle des Samsung Galaxy Store, womit auch das App-Angebot um ein Vielfaches ansteigt.
Probleme mit dem App-Angebot
Zumindest theoretisch ist das Angebot an Apps durch Wear OS größer, denn viele Apps sind noch gar nicht fit für Wear OS 3. Hinzu kommt, dass nicht alle Watchfaces der Tizen-Uhren auch für die Google-Plattform verfügbar sind, zumal der Samsung Galaxy Store auf der Samsung-Uhr nicht mehr verfügbar ist. Für alle Apps, einschließlich der Samsung-eigenen, steht der Google Play Store bereit. Die Nutzung geht erstaunlich gut von der Hand, wenngleich die Sprachsuche mittels Bixby manchmal zu wünschen übrig lässt. So oder so ist ein Stöbern auf dem Smartphone angenehmer im Wear-OS-Bereich – alleine schon aufgrund der Displaygröße.
Das iPhone bleibt draußen
Die Galaxy Watch 4 und deren Classic-Variante stellen aber auch in Sachen iPhone einen Neustart dar. Oder auch nicht, denn iOS wird offiziell nicht mehr unterstützt von Samsung mit der Galaxy Watch 4 Series. Um eines klarzustellen: Dies ist NICHT allgemeingültig von Google für Wear OS 3, denn die kommenden Gen6-Uhren von Fossil, die ein Update auf Wear OS 3 erhalten werden, sind explizit auch weiterhin mit dem iPhone kompatibel.
Heißt im Umkehrschluss, dass Samsung bewusst iPhone-Nutzer von seinen aktuellen Smartwatches ausschließt. Das kann sich mit dem regulären Start von Wear OS 3 für alle natürlich auch wieder ändern, wenn die Wear OS Companion-App von Google mit der neuen Plattform kommunizieren kann, und Samsung mit seiner Galaxy-Wear-App nachzieht.
Samsung- vs. Google-Apps
Die Galaxy Watch 4 hat aber auch etliche Eigenheiten, die nicht unerwähnt bleiben dürfen. Mobiles Bezahlen ist mit Samsung Pay und Google Pay möglich, letzteres muss erst aus dem Play Store nachinstalliert werden. Hinzu kommt, dass Samsung Pay immer per Gedrückthalten der unteren (Zurück-)Taste gestartet wird und sich nicht auf Google Pay „umbiegen“ lässt. Nur das Doppeldrücken der oberen Taste ist neu belegbar. Oder das Bixby vorinstalliert ist und Schwierigkeiten hat, Spracheingaben immer korrekt zu erkennen und der Google Assistant (Stand 03. September 2021) nicht nachinstalliert werden kann.
Dafür sind nun zahlreiche Google-Dienste nutzbar wie Google Maps zum navigieren, Google Notizen für das schnelle Speichern von Einkaufslisten, der Google Play Store für neue Apps oder YouTube Music. Wer daher im Google-Kosmos Zuhause ist, wird sich über die neu hinzugewonnenen Freiheiten freuen.
Fun Fact: Die Wear OS Companion-App von Google kann mit Wear OS 3 derzeit nichts anfangen. Zur Einrichtung ist zwingend die Samsung Wear App notwendig, die zumindest auch auf Nicht-Samsung-Geräten funktioniert. Hier werden dann zusätzlich noch ein Hintergrunddienst heruntergeladen sowie ein Plug-In für die Samsung-Wear-App. Gerade an dieser Stelle hapert die Einrichtung gerne mal. Auf einem Nicht-Samsung-Smartphone ist der Funktionsumfang teils erheblich eingeschränkt. Die App Samsung Health Monitor beispielsweise, Voraussetzung zum Messen von Blutdruck und EKG mit der Smartwatch, steht derzeit nur im Galaxy Store zum Download zur Verfügung – und damit ausschließlich für Samsung-Geräte.
Klasse Funktionen für Fitness & Gesundheit
Was die Galaxy Watch 4 im Test den meisten anderen Smartwatches im Android-Kosmos voraus hat, ist die Möglichkeit, ein einfaches EKG anzufertigen und den Blutdruck zu überwachen. Während Ersteres lediglich auf ein mögliches Vorhofflimmern des Herzens achtet, ist die Blutdruckmessung tatsächlich praktisch. Zum Ausführen eines EKG muss einfach ein Finger auf die obere Hardware-Taste gehalten werden, um einen elektrischen Kreis zu bilden. Den Rest erledigt das Software-Voodoo der Samsung-Entwickler.
Weitaus praxisnäher ist da das Messen des Blutdruckes. Während unseres Tests lagen die gemessenen Werte mit der Galaxy Watch 4 fast exakt zu den gemessenen Gegenwerten eines Blutdruckmessgerätes mit Oberarmmanschette. Da der Autor unter Bluthochdruck leidet, ist dies eine mehr als willkommene Funktion und daher regelmäßig in Gebrauch. Zu beachten ist, dass der Sensor alle vier Wochen neu kalibriert werden muss, ansonsten ist der Blutdruck nicht messbar.
Hör mal, wer da lauscht
Sind EKG und Blutdruckmessen schon vom Vorgänger Galaxy Watch Active2 und Galaxy Watch 3 bekannt, so ist die Schnarchanalyse komplett neu. Im Prinzip wird dabei nichts anderes getan als das Geschnarche über das Mikro des mit der Galaxy Watch 4 verbundenen Smartphones aufzuzeichnen. Eine Analyse der Aufzeichnungen ist nicht vorgesehen, die Audioaufnahme kann aber mit dem Hausarzt besprochen werden, sofern Schlafprobleme vorliegen. Durchaus eine witzige Sache. Übrigens: Das Schnarch-Tracking aka Audiomitschnitt der Schnarchgeräusche muss erst in der Samsung Health-App auf dem Smartphone aktiviert werden.
Körperfett & mehr ermitteln
Ebenfalls neu ist der sogenannte BIA-Sensor. Dies ist ein spezialisiertes Stück Technik für die sogenannte bioelektrische Impedanzanalyse. Kurzum: Mit dem BIA-Sensor lassen sich verschiedene Körperwerte wie Körperfett, der Anteil des Körperwassers, Muskelmasse und damit der BMI ermitteln. Einfach nach Start der Funktion Mittel- & Ringfinger auf die beiden Hardware-Tasten legen, warten und mittels gezieltem (nicht bemerkbaren) Stromstoß werden besagte Werte ermittelt. Konkret werden über die Impedanz des menschlichen Körpers, also der Wechselstromwiderstand, die Werte gemessen.
Auch wenn die Messung recht schnell erledigt ist, bleibt festzuhalten, dass es sich nur um einfache Richtwerte handelt, die keine professionelle BIA-Analyse unter medizinischer Aufsicht ersetzen können!
Fazit: Tizen-Stärken treffen auf ausbaubedürftige Google-Software
Mit der Tizen-Plattform hat sich Samsung in den vergangenen Jahren eine bemerkenswert solide Basis im Smartwatch-Bereich erarbeitet. Zwar ist das App-Angebot gelinde gesagt „überschaubar“, aber dafür konnte nahezu jede Funktion auch komplett ohne Verbindung zu einem Smartphone genutzt werden. So oder so kommt das Gefühl auf, dass manche Stellen von Wear OS 3 hastig entwickelt und verfrüht freigegeben wurden.
Genau hier bringt der Wechsel zu Wear OS 3 von Google mehrere Brüche: Zwar steigt das App-Angebot immens an, darunter vor allem mit beliebten Google-Diensten wie Google Maps, aber die Eigenständigkeit der Galaxy Watch 4 lässt im Vergleich zu den Vorgänger-Modellen auch spürbar nach. Gerade nachträglich installierte Apps sind öfters vollkommen aufgeschmissen ohne den Smartphone-Gegenpart, was sich gerade beim navigieren bemerkbar macht. Unter Tizen gab es mit ‚Here we go‘ beispielsweise eine Navi-App mit Offline-Karten, womit nur die Smartwatch ausreichte zum Wandern. Selbes auch bei komoot, ohne Smartphone-Verbindung ist eine Navigation nicht möglich.
Unterm Strich ist die Samsung Galaxy Watch 4 vor allem für diejenigen empfehlenswert, die Google-Dienste nutzen und viele Apps ausprobieren wollen. Die Stärken der Vorgänger-Uhren hat Samsung zum Glück im Fitness- und Gesundheitsbereich übernommen und sogar ausgebaut, allerdings hält die Galaxy Watch 4 bei identischer Nutzung und Einstellung nur halb so lange durch wie eine Galaxy Watch 3 – und das ist enttäuschend. Wer daher auf eine möglichst ausdauernde und auch wirklich autark nutzbare Smartwatch setzt, sollte zu den Vorgänger-Modellen greifen. Die „erste“ Galaxy Watch von 2018 beispielsweise ist eine Empfehlung, die bei entsprechend moderater Nutzung fast eine Woche durchhält.
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