Die 20-Jahre-Karotte

Kommentar: o2 Grow ist eine Mogelpackung

"20 Jahre Kunde sein, um mehr Datenvolumen zu bekommen - warum nicht gleich?" fragt sich Handyhase Daniel und hat zum 20-jährigen Jubiläum mehr von o2 erwartet. Warum Du den Hype um den o2 Grow nicht blind mitmachen solltest, liest Du hier.
Kommentar: o2 Grow wächst zu langsam

o2 Grow kritisch betrachtet. (Bild: Telefónica. Montage: Handyhase)

o2-Grow-Vorteil

Die neuen o2-Mobile-Tarife S, M und L sowie die Boost-Varianten kommen mit o2-Grow-Vorteil. Alles, was Du zum mitwachsenden Tarif wissen solltest und ob sich das Ganze lohnt, liest Du in unserem Beitrag nach.

o2 Grow: Auf dem ersten Blick attraktiv

Es klingt erstmal so schön: Ein Tarif, der mitwächst! o2 Grow soll sich den Nutzergewohnheiten anpassen und bis zu 240 GB bereitstellen! Aber halt: Das Datenvolumen gibt es erst in 20 Jahren – lohnt sich das? Wie viel muss ich investieren, um auf dieses (nach derzeitigem Maßstab) großartige Datenvolumen zu kommen?

Dass sich Geduld und Kundenbindung nicht für den Kunden, sondern für den Netzbetreiber auszahlt, das zeige ich hier.

Welche Vorteile hat o2 Grow?

Wer derzeit seinen Anbieter wechseln möchte, ist bei der Suche sicherlich schon auf den o2 Grow gestoßen. Im Prinzip ist der o2 Grow ein o2 Free M Boost (der zeitweilig durch den Grow-Tarif im Portfolio ersetzt wird). Die Grundgebühr liegt beim o2 Grow jedoch dauerhaft um 5 € niedriger als beim o2 Free M Boost.

Der günstige Preis ist nicht der einzige Vorteil: o2 Grow liefert ausreichend Datenvolumen für angehende mobile Powersurfer und die Besonderheit der „Tarifinnovation“ ist hier: Jahr für Jahr wächst der o2 Grow um jeweils 10 GB – bis zu einer Grenze von insgesamt 240 GB in 20 Jahren. Es handelt sich also um einen Tarif mit wachsendem Datenvolumen: Wer jetzt bucht, kann im Jahr 2042 so viel versurfen.

Außer im Preis und im besagten Grow-Feature unterscheidet sich der neue Tarif nicht vom o2 Free M Boost. Auch die Funktion o2 Connect ist enthalten.

In unserem Vergleich steht der Tarif deshalb sehr gut da: Zum aktuellen Zeitpunkt sind Angebote mit dem o2 Grow auf dem Markt, die über alle Netze hinweg die günstigsten Preise aufweisen – auch mit einem Top-Handy im Gepäck! Der Handytarif ist unbestritten ein gutes Angebot, vor allem im Bundle mit einem Smartphone. Hier kannst Du Dich zu einigen ausgewählten Angeboten informieren:

  • Keine aktuellen Angebote gefunden

Das klingt erstmal rundum überzeugend, nicht wahr? Ist es aber nicht! Warum die Leistung auf lange Sicht viel zu wenig sein wird, erschließt sich auf den zweiten Blick.

o2 Grow wächst zu langsam

Das Problem am o2 Grow ist, dass er nur linear wächst. Pro Jahr gibt es 10 GB mehr, das sind 25% des Basisvolumens im ersten Jahr, im 2. Jahr sind es bereits nur noch 20 %.

Was sich für heutige Maßstäbe nach extrem viel anhört (wow, 240 Gigabyte!), entpuppt sich auf den zweiten Blick als regelrecht mickrig: Denn die 10 GB werden in 20 Jahren voraussichtlich, wenn der Trend anhält, nicht der Rede wert sein.

Bedarf an Datenvolumen steigt exponentiell

Die tatsächliche Nutzung beim mobilen Datenvolumen ist nämlich in den vergangenen 10 Jahren um das 43-fache gestiegen! Pro Jahr betrug die Zuwachsrate zwischen 26 und 71%; im Durchschnitt betrug sie fast 46% pro Jahr. Der Verbrauch erhöhte sich also exponentiell (und wenn wir etwas in der Corona-Pandemie gelernt haben, so ist es Exponentialrechnung).

Nehmen wir an, ein Kunde hat tatsächlich den aktuellen Powersurfer-Bedarf von 40 GB pro Monat, dann wird nächstes Jahr der Bedarf im Durchschnitt bereits bei etwa 60 GB pro Monat liegen (o2 Grow liefert dann jedoch nur 50 GB). Bei einer Zunahme von 50 % wäre bereits im 6. Jahr ein Volumen-Bedarf von mehr als 300 GB erreicht.

Sollte der Anstieg bei der tatsächlichen Nutzung nur 25% pro Jahr betragen, dann wird der Bedarf zwar voraussichtlich erst im 10. Jahr der Vertragslaufzeit ca. 240 GB betragen – das ist aber immer noch sehr viel mehr, als der o2 Grow dann bietet!

Neue Technologien feuern Verbrauch an

Mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit wird die Pro-Kopf-Nutzung weiter ansteigen und das ist auch so gewollt. Noch immer sind die Möglichkeiten von 5G längst nicht ausgeschöpft und es wird auch bereits zu 6G geforscht. Immer höhere Bandbreiten bedeuten fast unweigerlich höhere Verbräuche, weil viele Anwendungen adaptiv mehr Daten anfordern (z. B. beim Streaming). Und durch eine bessere Verfügbarkeit des Netzes in der Fläche nutzen die User das mobile Internet häufiger und an mehr Orten.

Theoretisch könnte die durchschnittliche Nutzung des mobilen Internets im Jahr 2046 bei über 133 Terabyte pro Person liegen! Allerdings ist dies natürlich nur eine sehr grobe Prognose auf der Basis der Faustregel, dass der Bedarf prozentual um die Hälfte pro Jahr zunimmt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt aber, dass ein solches Szenario durchaus möglich ist – siehe oben. Zudem schwankt der Verbrauch je nach Nutzergruppe und Anbieter – besonders o2-Kunden verbrauchen im Durchschnitt mehr.

o2 spricht mit dem Grow-Tarif das Gefühl an

Halten wir fest: Der o2 Grow will mit schönen Zahlen glänzen und suggeriert Sicherheit und Zukunftsfähigkeit. Einer Prognose auf der Basis der bisherigen Entwicklung hält dieser Eindruck jedoch nicht stand. Der Tarif wächst höchstwahrscheinlich viel zu langsam mit.

Zudem ist keine Rede davon, dass auch die Bandbreite in der Zukunft angepasst werden soll. Zwar unterstützt der o2 Grow wie der o2 Free M Boost bis zu 300 MBit/s im Downstream, was den meisten Menschen aktuell bei Weitem ausreicht. Auch dies wird aller Voraussicht nach in 20 Jahren keinen ernstzunehmenden Anwendungen genügen.

Schon vor 10 Jahren habe ich immer wieder gehört, dass es kaum denkbar sei, mehrere Gigabyte durch die Luft zu befördern, geschweige denn mit einem Handy! Und siehe da, heute „verbrauchen“, also übertragen, wir mehrere Gigabyte pro Stunde, nur um einen Film übers mobile Internet zu streamen.

Wie werden die Anwendungen, Geräte und Netze der Zukunft aussehen? Das weiß niemand. Es fällt Menschen schwer, bereits die nächsten Wochen und Monate zu prognostizieren. Einen Mobilfunktarif für 20 Jahre einzuplanen, ist auf dem Hintergrund keine gute Entscheidung.

Fazit: Wechseln bringt mehr

Mit o2 Grow suggeriert Telefónica, dass die lästige Tarifwahl obsolet ist. Dies ist aber aus einem weiteren Grund falsch, denn noch etwas fehlt: Du bekommst kein neues Endgerät nach 24 Monaten. Gerade diese Zugabe macht Mobilfunkverträge ja erst so richtig attraktiv!

Betrachtet man den Effektivpreis von o2-Tarifen mit viel Datenvolumen, dann fällt auf, dass dieser weit unter den 30 € liegt, der für den o2 Grow anfällt. Warum sollte man also nach 2 Jahren für einen Tarif, der dann im 3. Vertragsjahr „nur noch“ 60 GB beinhaltet, weiterhin die hohe Grundgebühr zahlen? Es gibt keinen vernünftigen Grund.

So sehr o2 dem Kunden die Karotte der 240 GB hinhält und verspricht, dass o2 Grow mit den Bedürfnissen der User mitwächst, unsere Prognose für die Brauchbarkeit des Tarifs über 24 Monat hinaus fällt nicht gut aus.

Nichtsdestotrotz steht es Dir frei eine o2 Vertragsverlängerung zu wählen und natürlich könnte man die monatlich kündbare Flex-Variante des Grow-Tarifs buchen (durchaus interessant: aktuell fällt hierbei kein monatlicher Aufpreis an!), allerdings ändert dies nichts am Umstand, dass der Tarif auf lange Sicht schlicht zu unterdimensioniert sein wird. Und monatlich kündbar sind neuerdings alle Tarife – spätestens nach ihrer Mindestvertragslaufzeit.

Unser Rat: Tarif wechseln, nicht blenden lassen

Nicht missverstehen: Der Tarif o2 Grow ist während der Mindestvertragslaufzeit eine hervorragende Wahl. Der Tarif ist vergleichsweise sehr günstig und man kann sich wenigstens über die zusätzlichen 10 GB im 2. Vertragsjahr freuen.

Das Gesamtkonzept ist jedoch nicht geeignet, auf einen Anbieterwechsel nach 2 Jahren zu verzichten. Die 240 GB, die dem Nutzer in 20 Jahren winken, werden dann nur noch lachhaft wenig sein. Bis dahin sind fast 7200 € an monatlicher Grundgebühr auf das Konto von Telefónica geflossen. Das zeigt: Für die Netzbetreiber gibt es nichts Besseres als zufriedene – und wechselfaule – Kunden. Denn wer den Vertrag nicht wechselt, verbessert nicht das Preis-Leistungs-Verhältnis seines Tarifs, zahlt also im Schnitt mehr für weniger Leistung.

Deswegen empfehlen wir immer, entweder einen flexibel kündbaren Tarif zu nehmen, um stets auf gute Angebote reagieren zu können oder einen zu 50% über dem eigenen Bedarf liegenden Tarif abzuschließen, bei dem es ein Smartphone (oder eine andere hochwertige Zugabe) hinzu gibt – sei es, um dieses zu nutzen (also einen guten Effektivpreis zu erzielen) oder um es zu verkaufen, damit durch den Erlös die rechnerischen Kosten über 24 Monate günstiger werden.

Für Powersurfer ist Unlimited die bessere Wahl

Zuletzt noch ein Rat: Der Tarif richtet sich an User, die explizit 40 GB brauchen. Das mobile Nutzungsverhalten kann jedoch, je nach persönlicher Situation, stark schwanken. Für Powersurfer ist daher eine Unlimited-Datenflat besser geeignet. Diese gibt es bereits als SIM-Only-Tarif ab 14,99 € pro Monat oder als Bundle ab 29,99 € mit dem o2 Free Unlimited Basic. Zwar hat dieser Tarif nur 2 MBit/s, das hat sich in unserem Test des Tarifs o2 Free Unlimited jedoch als erstaunlich gut verwendbar entpuppt. Deutlich schneller geht es mit dem o2 Free Unlimited Smart mit 10 MBit/s.

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Profilbild von Daniel
Der Tarif-Nerd Daniel ist seit 2019 bei Handyhase. Was für andere ein staubtrockenes Thema ist, saugt der gebürtige Hesse auf wie ein Schwamm.
Daniel hat zwar unglaublich viele Interessen; Tarife, Netze und Technik sind ihm aber seit 2009 bei mehreren Telekommunikationsportalen zur Berufung geworden.
Man sagt, er habe mehr SIM-Karten in seiner Sammlung als ein durchschnittlicher Handyshop.