Handy-Spielsucht bekämpfen – wenn die virtuelle Welt Dich nicht mehr gehen lassen will
„Jetzt leg doch mal dieses dumme Handy weg! Du bist ja ganz süchtig nach dem Ding…“
Na, kommt Dir dieser Spruch bekannt vor? Wenn die Augen des Sohnemanns oder der Tochter gefühlt am Display festgeklebt sind, dann brechen solche Sprüche manchmal hervor. Vielleicht hast Du diesen Befehl aber auch schon selbst von einem Mitmenschen an den Kopf geworfen bekommen.
Und dabei wolltest Du doch nur kurz checken, ob Dein Clash-of-Clans-Dorf angegriffen wurde. Deswegen bin ich ja aber nicht gleich süchtig, oder?
Die Konsole für überall
Handyspiele bieten einen großen Unterhaltungsfaktor und sind damit der ideale Langeweile-Killer. Hinzu kommt, dass das Smartphone in jede Hosentasche passt und Handy-Games damit überall verfügbar sind.
Wenn Du also auf den Zug wartest, eine lange Mittagspause hast oder Dein Geschäft verrichtest, dann ist immer noch kurz Zeit für ein Level Candy Crush.
Bei einem PC oder einer Spielkonsole bist Du immer örtlich gebunden. Wenn Du aber ein leistungsstarkes Smartphone mit starkem Prozessor und dazu noch einen Tarif mit viel Datenvolumen hast, dann sind dem Spielvergnügen keine Grenzen gesetzt.
Wer darin eine Gefahr sieht, muss ja aber auch ein echter Spießer sein, oder? ODER?
Kann man vom Zocken süchtig werden?
Übermäßiger Handykonsum ist insbesondere in jungen Generationen keine Seltenheit. Es stellt sich aber die Frage, ob man denn direkt von einer Sucht sprechen kann. Man sollte nämlich nicht direkt jede schlechte Gewohnheit mit einer Sucht gleichsetzen. Experten argumentieren allerdings, dass Gaming, sei es am PC oder am Handy, durchaus Suchtpotenzial bietet.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat im Juni 2018 in der internationalen Klassifikation der Krankheiten erstmals Online-Spielsucht als krankhaft eingestuft.
Dabei ist zwar die Handy-Spielsucht nicht namentlich aufgeführt, aber es wird im Allgemeinen vom „Gaming“ gesprochen.
Darunter fällt auch die Handy-Gesundheit – das Spielen von Handy-Spielen.
Diagnose „süchtig“ – daran erkennst Du eine Handy-Spielsucht
Okay, doch wo fängt jetzt die Sucht an? Wenn ich wöchentlich spiele? Bei drei Stunden Handyzeit pro Tag? Oder wenn ich die Augen schließe und nur noch bunte Bonbons sehe?
So konkret können wir das leider nicht sagen. Stattdessen hat die WHO aber eine Liste an Merkmalen festgelegt, die auf ein Suchtverhalten beim Gaming hinweisen.
Wenn Du folgende Verhaltensmuster bei Dir oder Deinem Kind feststellst, solltest Du alarmiert sein:
- der Betroffene hat keine volle Kontrolle über sein Spielverhalten
Das bedeutet, Du bemerkst bei Dir selbst oder bei Deinen Kindern zunächst, dass in einem großen Ausmaß, besonders häufig oder besonders lang am Handy gespielt wird.
Ein vernünftiger, kontrollierter Konsum ist nicht vorhanden.
Halte bei der Einschätzung hier am besten Rücksprache mit anderen vertrauten Personen, da dies natürlich möglichst objektiv beurteilt werden sollte.
- Handyspielen nimmt große Priorität im Leben ein
Dieser Punkt bezieht sich darauf, dass das Spielen am Smartphone eine so wichtige Rolle im Leben des Betroffenen einnimmt, dass andere Interessen und alltägliche Aktivitäten vernachlässigt werden.
Das ist der Fall, wenn beispielsweise das Fußballspielen mit Freunden abgesagt wird, um das nächste Level noch zu schaffen.
- hoher Konsum trotz negativer Folgen
Die WHO argumentiert außerdem, dass ein Suchtmerkmal vorliegt, wenn auch gespielt wird, obwohl das Verhalten die Person oder sein Umfeld negativ beeinflusst.
Spielt der Sohn weiter, auch wenn die schulischen Leistungen klar darunter leiden? Hat die Tochter dauernd Kopfschmerzen vom Handy und kommt trotzdem nicht davon los? Oder spielst Du zum Beispiel regelmäßig, obwohl Du weißt, dass es Deine Frau auf die Palme bringt und eure Ehe darunter leidet?
Dann solltest Du auf jeden Fall wachsam sein.
- setzt sich das Spielen über einen längeren Zeitraum fort?
Wichtig ist hier zu wissen, dass dieser Punkt unabhängig davon ist, ob Du fünfmal oder einmal pro Woche spielst. Ein Suchtmerkmal liegt vor, wenn Du schon lange mit Handyspielen oder einem Handyspiel zu tun hast. Die WHO nennt hierbei zum Beispiel den Zeitraum von einem Jahr.
- das Spielen lässt sich nicht auf eine psychische Störung oder eine Substanz/ ein Medikament zurückführen
Der letzte Punkt versteht sich vermutlich von selbst. Wenn die Ursache für die Zockerei zum Beispiel eine manische Episode oder eine Droge ist, dann ist das Problem zunächst einmal nicht das Gaming.
Test: Bist Du zu lange am Handy?
Wenn Du das Gefühl hast, dass Du zu lange am Handy bist, dann kannst Du auch einen digitalen Test machen. Eine Klink aus München hat nämlich eine App entwickelt, mit der Du zum einen prüfen kannst, ob Du einen Tinnitus hast, zum anderen aber auch Deine Internetnutzung mit einem Test besser einschätzen kannst.
Handy-Spielesucht: Deswegen kannst Du nicht aufhören …
Vielleicht hast Du Dich schon einmal gefragt, warum es Dir so schwerfällt, zum Beispiel nach nur einem Hay-Day-Level direkt aufzuhören. Der Psychiater und Psychotherapeut Hans-Jürgen Rumpf argumentiert laut „Der Standard“ sogar, dass insbesondere Smartphone-Spiele ein besonders hohes Suchtpotential haben. Doch was ist da der Unterschied zu regulären PC-Games?
Verantwortlich für den hohen Suchtfaktor der Spiele sind vorrangig die Entwickler der Handy-Spiele. Einer dieser Entwickler ist William Siu. Der ehemalige Mitgründer der Entwicklerfirma „Storm8“ hat in einem Artikel der New York Times offengelegt, dass er und sein Team bewusst überlegt haben, welche Strategien den Nutzern die meiste Zeit und das meiste Geld abverlangen.
Herzschmerz und Schokokuchen
Dein Herz verlierst Du, wenn Du eine schlimme Trennung hinter Dir hast – oder eben, wenn Du bei Candy Crush nicht genügend Bonbons richtig kombiniert hast und das Level nicht schaffst. Hinter letzterem Gedanken steckt ein ausgeklügeltes Prinzip, das viele Games anwenden. Du besitzt bei vielen Spielen fünf Herzen, ohne die Du nicht weiterspielen kannst.
Jetzt könntest Du entgegnen:
„Warte! Wie soll diese Strategie denn süchtig machen? Man begrenzt doch den Spieler, obwohl dieser vielleicht weiterzocken will, oder?“
Siu hat diese Taktik mit einem Schokokuchen verglichen. Er meinte, wenn Du einen ganzen Schokokuchen an einem Tag isst, dann hast Du lange erstmal keinen Appetit auf Kuchen dieser Art. Wenn Du stattdessen aber jeden Tag ein Stück von diesem Kuchen isst, dann entwickelt sich eine Gewohnheit und der Konsument ist stärker und länger an den Kuchen alias an das Spiel gebunden.
„Das sieht aber so niedlich aus!“
Hast Du Dich vielleicht schon einmal gefragt, warum das Huhn auf dem Hay-Day-Icon Dich so unschuldig anschaut? Oder warum die Vögel bei Angry Birds so niedliche Gesichter haben? Es mag auf den ersten Blick nicht viel bedeuten, aber dass Gegenstände und Spielcharaktere vertrauliche Gesichter haben, ist oftmals auch nur ein Mittel zum Zweck.
Die US-amerikanische Professorin Karen Collins sagte der Zeitung „Welt“, dass wenn etwas ein Gesicht habe, wir gar nicht mehr davon lassen könnten. Und das machen sich auch Handy-Games zunutze. Genauso verhält es sich mit Soundeffekten. Wenn bei dem Spiel Candy Crush drei gleichfarbige Bonbons miteinander kombiniert werden, dann hallt aus dem Lautsprecher ein positives Geräusch und manchmal sogar eine Stimme, die Deinen cleveren Zug mit einem fröhlichen „Delicious“ bestätigt.
Schwer, aber nicht zu schwer!
Ein letzter Hebel mit dem Entwickler die Spieler manipulieren können, ist der Anspruch des Spiels. Gerade Puzzle-Spiele, in denen Pflanzen, Süßigkeiten oder andere bunte Gegenstände nach Farbe kombiniert werden müssen, weisen dieses Muster auf. Die Level sollen Dich so fordern, dass Du ein gutes Gefühl bekommst, wenn Du das Level schaffst. Aber auch nicht so stark, dass Du aufgibst, weil es zu schwer ist.
Außerdem müssen die Spielprinzipien schnell verstanden und leicht erlernt werden können. Das erweckt in den Spielern den Eindruck, dass diese ihre Fähigkeiten schnell und effektiv verbessern. Auch wenn das in der Regel Fähigkeiten sind, die Du im Alltag so nicht unbedingt brauchst.
Handy-Spielsucht bekämpfen – zu den Waffen!
Möglicherweise hast Du Dir jetzt diesen Artikel bis hierher durchgelesen und merkst: „Oh Nein, ich bin vielleicht wirklich süchtig nach Handy-Spielen!“ Vielleicht hast Du auch realisiert, dass Dein Sohn oder Deine Tochter Suchtmerkmale aufweisen und Du etwas unternehmen musst. Wenn das der Fall ist, dann geben wir Dir einige Anlaufstellen mit auf den Weg.
Sucht erkennen und eingestehen
Den ersten Schritt hast Du vielleicht sogar schon gemacht. Du hast realisiert, dass Du süchtig nach Handy-Spielen bist und weißt, dass Du etwas ändern musst? Super, dann kannst Du direkt zum nächsten Schritt springen! Wenn die betroffene Person allerdings kein Problem in ihrem Konsumverhalten sieht, dann wird sie auch keinen Anlass haben, diesen Zustand zu ändern.
Wir empfehlen Dir deswegen, Betroffene in Liebe und Rücksicht auf die Situation hinzuweisen. Vielleicht hilft dabei auch der Selbstcheck in der App, den wir bereits erwähnt haben. Außerdem bieten insbesondere soziale Einrichtungen wie die Caritas oder die Diakonie Suchtkontaktstellen an, die sowohl Suchtkranken als auch Angehörigen zur Seite stehen.
Mache es Dir nicht unnötig schwer
Hast Du einmal realisiert, dass sich Dein Spielverhalten am Handy zur Sucht entwickelt hat, dann kannst Du konkret Schritte gehen, um weniger Zeit am Smartphone zu verbringen. Sei dabei so konsequent, wie nur möglich. Wenn Du und Dein Umfeld darunter leiden, dass Du zu viel Gardenscapes spielst, dann mache es Dir nicht unnötig schwer und deinstalliere die App.
Mittlerweile findest Du außerdem sämtliche Anwendungen, mit denen Du Deine Handyzeit besser limitieren und kontrollieren kannst. Ein hilfreiches Beispiel dafür ist „Minimalist-Phone„. Mit dieser App kannst Du unter anderem die Icons deiner liebsten Mobile Games ausblenden oder einen Timer für Deine Spieldauer einstellen. Nach Ablauf der Zeit wird das Spiel dann automatisch geschlossen.
Alternativ könntest Du auch bestimmte Spiele oder Apps mit einem Passwort schützen lassen, das Du nicht kennst. Lass dafür eine vertraute Person, wie Deinen Mitbewohner, Deinen Partner oder Deine Partnerin oder Deine beste Freundin ein Passwort festlegen. Immer wenn Du dann am Handy spielen willst, musst Du das mit einer weiteren Person absprechen.
Wie Du Apps sperrst oder ausblendest und damit versteckst, verrät ein eigener Beitrag.
Etabliere gute Gewohnheiten
Dieser Schritt ist ganz wichtig, sonst ist Dein Erfolg nur von kurzer Dauer. Möglicherweise haben Handy-Spiele Dir zuvor viel Zeit geraubt und jetzt, wo Du nicht mehr so viel spielst, eröffnen sich viele freie Kapazitäten. Wenn das eintritt, dann besteht die Gefahr, dass Du in alte Muster zurückfällst und genauso viel spielst wie zuvor.
Wir empfehlen Dir deswegen diese neu gewonnene Zeit mit guten, gesunden Aktivitäten zu füllen. Vielleicht entdeckst Du ein neues Hobby für Dich. Vielleicht verfolgst Du jetzt eine Sportart, die Du schon immer mal ausprobieren wolltest. Oder vielleicht findet sich nun mehr Zeit, die Du mit der Familie verbringen kannst. Die Möglichkeiten sind endlos und oft auch erfüllender als die meisten Handy-Spiele.
Handy-Spielsucht bekämpfen – Tipps für Eltern
Ab welchem Alter sollte ich mein Kind an das Tablet oder an das Smartphone lassen? Wie lange sollte ich meinem Kind erlauben zu Spielen? Wo muss ich Die Grenze ziehen? Solche und viele ähnliche Fragen beschäftigen viele Eltern. Klar ist: Eltern stehen hier in der Verantwortung, Medienkompetenz zu vermitteln.
Damit dies auf Augenhöhe geschehen kann, könnte man beispielsweise eine „Medienvertrag“ mit den Kids aushandeln. Dieser legt zum Beispiel fest, wie lange der Sohn oder die Tochter Zeit am Handy verbringen darf und wo handyfreie Zonen sind (am Esstisch, bei Feierlichkeiten usw.). Eine mögliche Vorlage für einen solchen Vertrag hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung entworfen.
Ein zeitliches Handy-Limit, das Du für Dein Kind festlegst, können wir Dir auf jeden Fall empfehlen. Allerdings gibt es hier keine pauschale Zahl, die wir Dir hier mitgeben können. Das solltet ihr als Eltern mit der Zeit austesten und optimieren. Unser Rat für Dich wäre an dieser Stelle, vielleicht ein wöchentliches Zeitkontingent einzuführen. So lernen Deine Sprösslinge gut, wie sie ihre Zeit sinnvoll einteilen.
Handy-Spielsucht bekämpfen – Ein Fazit
Es ist gut möglich, dass unsere Hinweise und Tipps, die wir hier zusammengefasst haben, leicht umsetzbar erscheinen. Je nach Schweregrad der Sucht kann das in der Praxis ganz anders aussehen und viel Kraft und Ausdauer erfordern, um kleine Erfolge zu sehen.
Außerdem sei auch gesagt, dass die Hinweise in diesem Beitrag sich nur auf eine Änderung des Verhaltens beziehen. Oft ist die Ursache für eine Sucht allerdings auch ein seelischer Mangel in dem Betroffenen selbst, der mit Handy-Spielen gestillt werden soll. Welcher das ist, kann Dir Handyhase nicht sagen. Dafür braucht es intensive und vielleicht auch professionellen Hilfe.
Wenn Du weitere Hilfestellungen oder Informationen brauchst, dann wende Dich gern an die aufgeführten Beratungsstellen.
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